Ob durch die Diskussionen um das Dieselfahrverbot und deren Folgen, den Radentscheid Frankfurt für eine bessere Fahrradinfrastruktur mit über 40.000 Unterschriften, innovative Zukunftsvisionen zur Stadtentwicklung – wie bei der erst kürzlich beendeten Ausstellung „FAHR RAD!“ des Frankfurter Architekturmuseums: Man wird in letzter Zeit das Gefühl nicht los, dass sich in und um Frankfurt langsam etwas in der Verkehrspolitik bewegen muss und Raum für Visionen um die Mobilität der Zukunft entsteht.

Quelle: ADFC Hessen

So ist auch der geplante Radschnellweg Frankfurt – Darmstadt dem hessischen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) ein besonderes Anliegen: „Hessens erste Radschnellverbindung soll viele Berufspendler dazu bewegen, im wahrsten Wortsinn umzusatteln, denn künftig soll man auch aus dem Umland schnell, bequem und sicher auf zwei Rädern in die Innenstädte gelangen.


Trotz dieser neuen Aufbruchsstimmung gab es auch Kritik: Der Radschnellweg sei gar kein Radschnellweg und halte die Kriterien dafür nicht ein. Für ausreichende Beleuchtung und Asphaltierung sei auf dem 30 Kilometer langen Weg noch nicht gesorgt. Zudem kam Widerstand von den Frankfurter Forstämtern, die keine Bäume für die durch den Frankfurter Stadtwald verlaufende Strecke fällen wollen. Zuletzt wurde auch eine mangelnde Einbindung der Bürger/innen in die Planung der Strecke bemängelt – viele noch offene Fragen bei dem 30-Kilometer-Mammutprojekt.

Kann also ein solches Radschnellweg-Projekt in einem auf den Autoverkehr ausgerichteten und wirtschaftlich von der Autoindustrie abhängigen Deutschland überhaupt gelingen und eine echte Alternative für Berufspendler/innen darstellen? Um zu sehen, was möglich ist, wäre es ein Leichtes, den Blick (wie so häufig) ins Ausland zu richten und die innovativen und nachhaltigen Umsetzungen in Kopenhagen, Portland, Oslo oder den Niederlanden zu bewundern.
Denn in Deutschland sind die Großstädte aufgrund verfehlter Stadtplanung hin zu einer autogerechten Stadt auf eine autozentrierte Mobilität ausgerichtet. Alle Planungsmaßnahmen haben sich dem ungehinderten Verkehrsfluss des Autos unterzuordnen.

In ganz Deutschland? Nein, ein kleines Dorf mit gut 120.000 Einwohnern in Südniedersachsen leistet seit 2015 erfolgreich Widerstand und lässt ihre Bürger/innen die Stadt zurückerobern:
In Göttingen entstand zwischen 2013 bis 2015 der erste in Deutschland realisierte Radschnellweg. Vom Bahnhof – zentral durch die Stadt – erstreckt sich bis zum Nordcampus der Georg-August-Universität ein vier Kilometer langer Radschnellweg mit 1,4 Kilometern als Fahrradstraße (gemeinsam mit dem übrigen Verkehr) und auf baulich getrennten Zweirichtungs-Radwegen mit großzügigen Breiten von drei bis vier Metern auf den verbleibenden 2,6 Kilometern. Hinzu kommen auffällige Markierungen und Piktogramme zur besseren Erkennbarkeit, eine bevorzugte Räumung von Schnee und Eis im Winter und auf die Radfahrer/innen abgestimmte Ampelanlagen.


Gedankt haben dies die Göttinger/innen mit einer Nutzung von über einer Million Radfahrten im Jahr 2016. Das sind rund 3000 pro Tag und 90.000 im Monat. Auch 2017 waren es an die eine Million Radfahrten im Jahr. Das folgende Video zeigt Abschnitte des Radschnellwegs und verdeutlicht gleichzeitig den großen Bedarf:

Radschnellweg Göttingen

Die Baukosten für das Pilotprojekt eRadschnellweg betrugen rund 1,1 Millionen Euro, von denen die Stadt 660.000 Euro getragen hat. Der Rest wurde im Rahmen der Schaufensterinitiative Elektromobilität der Bundesregierung gefördert, denn der Radschnellweg schafft auch eine geeignete Infrastruktur für E-Bikes und Pedelecs. 
Nach dieser Erfolgsgeschichte wurde Anfang 2018 mit einem 2,5 Kilometer langen Ausbau des Radschnellweges in den Göttinger Süden begonnen. Gleichzeitig laufen die Planungen für eine Verlängerung in den Norden.

Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) zeichnete 2017 Göttingen als fahrradfreundlichste kleine Großstadt aus – ausschlaggebend dafür dürfte die Fahrradautobahn sein, wie viele Göttinger/innen ihren neuen Arbeitsweg nennen.

Aus der Göttinger Realität zurück nach Frankfurt. Der Radschnellweg Darmstadt – Frankfurt wird mittlerweile nur noch als Direktverbindung bezeichnet, weil er einige für einen Radschnellweg erforderlichen Kriterien wie Breite, Beleuchtung, Asphaltierung etc. nicht erfüllt und die Strecke durch den Frankfurter Stadtwald nicht viele bauliche Veränderungen zulassen wird. In einem Punkt sollten sich dennoch alle einig sein: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung zugunsten aller. Trotzdem muss weiterhin der inhaltliche Diskurs geführt werden, um hier Fehlplanungen zu vermeiden.

Auch wenn die Direktverbindung bescheidener ausfallen sollte, als zunächst geplant, ist sie doch ein erster großer Meilenstein, um viele Menschen überhaupt für das Thema Mobilitätswende zu sensibilisieren und eine Basis für einen Umstieg aufs Fahrrad für Pendler zu ermöglichen. Eine erste Strecke von Egelsbach bis nach Darmstadt-Wixhausen (3.64km) soll schon im Frühjahr 2019 fertig gestellt sein. Nach fünf weiteren Bauabschnitten soll die gesamte Strecke ab 2022 befahrbar sein und der gesamten Region als Vorreiter dienen sowie einen Domino-Effekt auslösen.

Dass dieses Projekt bereits jetzt regionale Dynamik entfaltet, zeigen weitere Beispiel für geplante Radschnellwege in und um Frankfurt. Mit großer Bürgereinbindung und –beteiligung ist 2016 eine erste Machbarkeitsstudie für eine 20 Kilometer lange Strecke Frankfurt – Hanau auf den Weg gebracht worden. Per Mitmachkarte konnten die Bürger/innen Ideen und Kommentare einbringen und die Ergebnisse wurden Ende 2018 präsentiert.

Frankfurt – Hanau
Vordertaunus – Frankfurt

Noch im laufenden Entstehungs- und Beteiligungsprozess befindet sich die Routenplanung der Strecke Vordertaunus – Frankfurt. Beide Projekte stehen vorbildhaft für eine transparente Bürgerbeteiligung und eine gründliche Bedarfsanalyse.

Ein weiteres geplantes Projekt in Frankfurt ist ein Radschnellweg mit dem Fokus auf Elektrofahrrädern von der Frankfurter Innenstadt zum Flughafen und dem umliegenden Gewerbeviertel Gateway Gardens. Es ist Teil des europäischen Fahrradprojektes „CHIPS“ und soll neue Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit und Urbanität setzen.

Die auf den Architekten Hans Bernhard Reichow zurückgehende Idee der autogerechten Stadt gilt heuteknapp 60 Jahren später, als Beispiel verfehlter Stadtplanung. Somit ist es wohl an der Zeit, das Zeitalter einer fahrradfreundlichen, menschengerechten Stadt einzuläuten und den vielen Lippenbekenntnissen der Politik Taten folgen zu lassen.

Christopher Böttner ist Sportwissenschaftler und leidenschaftlicher Radfahrer. Durch zeitweilige Wohnsitze in Hannover, Göttingen, München und Kopenhagen konnte er viele Strategien für den Umgang mit dem Radverkehr beobachten und sieht in Frankfurt auch Handlungsbedarf für eine bessere Fahrradinfrastruktur und das Potential für mehr Lebensqualität.