Was braucht es alles, damit das Fahrrad der zentrale Baustein in einem neuen städtischen Mobilitätssystem sein kann?

Vision: Der öffentliche Raum ist voll auf das Fahrrad ausgerichtet
Wir stellen uns eine hoffentlich nicht so ferne Zukunft vor: In der Stadt Frankfurt gibt es ein hevorragendes, hierarchisch gegliedertes Radverkehrsnetz. Kreuzungen sind sicher und fahrradfreundlich gestaltet, es gibt überall sichere Radabstellanlagen in ausreichender Zahl und die Stadt führt regelmäßig Kampagnen durch, die für das Radfahren werben. Sogar die meisten Arbeitgeber haben Duschen und Umkleideräume für Radler oder bieten ein Fahrradleasing an.

Weitgehend alles mit dem Rad erledigen – geht das?
Viele Menschen in Frankfurt nutzen nun das Fahrrad. Kinder, Schüler, Azubis, Studenten, Arbeitnehmer, Selbständige, Eltern, Senioren und viele andere wollen nun gerne weitestgehend auf ein eigenes Auto verzichten. Wie lässt sich denn der Alltag nun bewältigen? Wie kommen Kinder in den Kindergarten? Wie können größere Transporte bewerkstelligt werden? Wie der etwas weitere Weg zur Arbeitsstelle? Was ist mit Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht Fahrrad fahren können?
„Dann brauche ich ja ein Kinderrad, einen Fahrradanhänger, ein Lastenrad, ein Pedelec und dann ja doch wieder ein eigenes Auto für die ganzen Transporte? Das kostet ja Unmengen und braucht viel Platz… Und dann muss ich das Auto oder Pedelec ja auch noch laden. Ne, so klappt das nicht.“

Oder doch?

Lösungsansatz: Anlassbezogene Mobilität am Wohnort
Jedes (!) Verkehrsmittel hat seine ganz speziellen Vorteile und sinnvollen Einsatzzwecke. Nun gilt es einfach eine Umgebung, ein System zu schaffen, in dem man zu jedem Zweck, an jedem Tag das passende Verkehrsmittel leicht benutzen kann.
Neue Stadtviertel und größere Wohneinheiten bekommen zunehmend ein eigenes Mobilitätsangebot. Zentraler Anlaufpunkt kann eine Mobilitätsstation sein, an der diverse Verkehrsmittel zum Ausleihen zur Verfügung stehen:

  • Fahrräder
  • Lastenräder (mit und ohne elektrische Unterstützung)
  • Pedelecs (bis 25km/h und bis 45 km/h)
  • Kinder- und Lastenanhänger für das Fahrrad
  • (Elektro)Roller
  • PKW mit Elektro- und konventionellem Antrieb
  • sonstige Fahrzeuge wie Bollerwagen, Tretroller und so weiter
  • Übertragbare Monatskarten für den regionalen ÖPNV
  • …und was sonst noch so gebraucht wird!

Die Fahrzeuge stehen in verschiedenen Größen und Ausstattungen allen Bewohnerinnen und Bewohnern einer Wohnanlage bevorzugt und zu günstigen Tarifen zur Verfügung. Ein bestimmter Nutzungsumfang ist in der Wohnungsmiete bereits enthalten. Verwaltet werden die Fahrzeuge von der Wohnungsgenossenschaft oder einem lokal ansässigen (sozialen) Verein, der vielleicht auch kleinere Reparaturen ermöglicht. Um die Nutzung leicht und bequem zu machen, können die Angebote über eine App für das Quartier gebucht und verwaltet werden.
Ergänzt wird das Leih- und Serviceangebot durch eine große, komfortable und sichere Fahrradgarage für private Räder. Eine PKW-Tiefgarage kann entsprechend kleiner dimensioniert werden und hält Stellplätze für Privat-PKW (gesondert zu buchen und zu zahlen) sowie für die Carsharing-PKW bereit.

Die Landeshauptstadt München hat zusammen mit vielen Partnern in der neuen Wohnanlage Domagk-Park viele der genannten Bausteine umgesetzt. In dem Quartier konnten der übliche Stellplatzschlüssel (Anzahl herzustellender Parkplätze je Wohnung) sowie sonstige Flächen für Privat-PKW deutlich reduziert werden. Es entstand ein lebendiges Quartier, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner außer von einer lebenswerten Umgebung von deutlich geringeren Mieten profitieren. Die geringeren Mieten sind u.a. durch Einsparungen im sehr teuren Bau von (unterirdischen) Stellplätzen möglich geworden.

Auch die Stadt Darmstadt hat im Zuge der Konversion einer ehemaligen Militärfläche viele der oben genannten Bausteine umgesetzt, damit in der Lincoln-Siedlung die Notwendigkeit zum Besitz und zur Nutzung eines eigenen PKW möglichst reduziert wird. In direkter Nähe der Hauseingänge sind großzügige Fahrradabstellplätze sowie Plätze für Elektro-PKW des Carsharings vorgesehen. Private PKW dürfen nur in Sammelgaragen geparkt werden. An einer Mobilitätszentrale können, ähnlich wie in München, verschiedene (Lasten)räder mit und ohne Elektroantrieb ausgeliehen werden. Auch die Beratung zur kostengünstigen und effizienten persönlichen Mobilität wird angeboten.

Wer kann etwas erreichen?
Kommunen haben im Rahmen ihrer Planungshoheit geeignete Instrumente in der Hand, um entsprechende Konzepte zu ermöglichen und zu befördern. Im Rahmen der kommunalen Stellplatzsatzung können Kommunen neben Zahl und Qualität der Stellplätze auch regeln, welche ergänzenden Mobilitätsangebote hilfreich oder notwendig sind. Sehr weitgehend ist z.B. die Satzung der Hansestadt Rostock (http://rathaus.rostock.de/de/aemter/257095). Des Weiteren können Kommunen im Rahmen von Bebauungsplänen entsprechende planerische und textliche Festsetzungen machen.

Aber auch für einzelne Bauvorhaben lassen sich mit städtebaulichen Verträgen zwischen der jeweiligen Stadt sowie dem Investor bzw. Eigentümer Vereinbarungen zur Umsetzung der skizzierten Mobilitätsangebote sichern und umsetzen.
Investoren und Projektentwickler können großes Interesse an der Umsetzung haben, wenn sie dadurch Gelder einsparen oder gewünschten Zielgruppen (z.B. jungen Familien) passende Angebote machen können. Hier helfen frühe Gespräche mit den zuständigen Stellen in der jeweiligen Kommune (Stadtplanungsamt, Verkehrsplanung, Bauaufsicht).
Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnanlagen oder kleinen Vierteln können sich organisieren und dem Eigentümer und der Stadt entsprechende Vorschläge machen.

Fazit
Die zahlreichen Neubautätigkeiten in Frankfurt und Umgebung geben eine Vielzahl an Möglichkeiten, das Fahrrad und ergänzende Mobilitätsformen von Anfang an mitzudenken. Bei jedem neuen Viertel sollten mit Investoren und Entwicklern sowie Bestandsnachbarn die Rahmenbedingungen für ein radorientieres Mobilitätskonzept erarbeitet werden.

Ein notwendiges Umdenken (vom baulich hergestellten Stellplatz hin zu organisatorischen Fragen) wird belohnt durch weniger PKW-Verkehr, weniger Platzverbrauch, weniger Lärm und Abgase, geringere Mieten, mehr Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit!

Dr. Uli Molter ist Wirtschaftsgeograph und Verkehrsplaner in der Stadtverwaltung Oberursel. Er lebt in Frankfurt und unterstützt den Radentscheid, weil „Radfahren eine äußerst platzsparende, leise und saubere Art der Fortbewegung und deswegen ideal für die Stadt ist.“.